BEM – Erfahrungen aus der Praxis

Mit Blick auf die Einführung eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements ist immer wieder zu hören: Das dauert lang, ist total aufwendig und kostet viel! Was sagen Sie dazu?
Angela Huber: Ganz klar, das stimmt so nicht. Meiner Erfahrung nach braucht es drei Workshops – ein Grundlagen-Workshop mit den Beteiligten auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, eine Intensiv-Schulung der BEM-Beauftragten und ein Führungskräfte-Training – und ein bis zwei Tage, um das BEM-Regelwerk mit den entsprechenden Anlagen zu entwickeln. Dazu gehören u.a. Betriebsvereinbarung, Anschreiben mit Rückantwort, ein Gesprächsleitfaden zur Durchführung des BEM, der Maßnahmenplan, die Abschluss-Dokumentation und Mitarbeiterflyer. Sind alle Dokumente freigegeben, kann das BEM losgehen.

Wie lange dauert das Ganze?
Ich habe kürzlich in einem Unternehmen das BEM innerhalb von vier Wochen eingeführt. Wichtig ist, dass sich alle Beteiligten einig sind über Rahmenbedingungen und Ziele des BEM im Unternehmen und in diesem Sinne an einem Strang ziehen. Hier spielt eine klare Betriebsvereinbarung, die die Mitarbeiter auch verstehen, eine entscheidende Rolle. Um auch den Bezug zu den Kosten herzustellen: Wir reden hier insgesamt über sieben bis zehn Beratertage in Summe – abhängig davon, wie viele Führungskräfte zu schulen sind und wie intensiv das Training der BEM-Berater ausfällt.

Arbeitgeber sind unter den genannten Voraussetzungen zum BEM verpflichtet. Die betroffenen  Mitarbeiter aber sind frei in ihrer Entscheidung, dieses Angebot anzunehmen. Was bringt es beiden Seiten?
Für das Unternehmen steht die Planungssicherheit an erster Stelle. Ich weiß, wann der Mitarbeiter wiederkommt und unter welchen Bedingungen. Das verringert die Konflikte unter den ‚gesunden’ Mitarbeitern, die die Aufgaben des erkrankten Kollegen übernehmen. Zudem reduziert sich das Haftungsrisiko und die damit verbundenen Kosten. Denn auch wenn das BEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung ist, so ist kaum mehr eine Kündigung ohne BEM möglich. Die Darlegung- und Beweislast verschiebt sich zuungunsten des Arbeitgebers und die Indizwirkung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bringt den Arbeitgeber ebenso in Erklärungsnot, wenn der Arbeitnehmer behauptet aufgrund seiner Behinderung oder chronischen Erkrankung gekündigt und damit diskriminiert worden zu sein. Schadensersatzansprüche, unwirksame Kündigungen oder hohe Abfindungszahlungen sind die Folge. Besser ist es da, weit vorher mit dem Arbeitnehmer in Dialog zu treten, ihn bei dem Erhalt seiner Arbeitsfähigkeit zu unterstützen, ihn in seiner Eigenverantwortung zu stärken und so gemeinsam ein stabiles Arbeitsverhältnis zu gewährleisten. So haben beide Parteien etwas davon.

Und was hat der betroffene Mitarbeiter vom BEM?
Für ihn sehe ich zwei große Vorteile: Er bekommt Experten an die Hand, die für ihn sonst gar nicht greifbar wären. Und er ist Herr des Verfahrens. Das heißt, es geschieht nichts über seinen Kopf hinweg. Schließlich weiß er ja am besten, was ihm guttut. Das BEM ist freiwillig, und er bekommt die nötige Unterstützung – auch im Unternehmen – um seine Arbeitskraft und sein Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dazu genügen oft schon ein begleitetes Klärungsgespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter oder kleine Maßnahmen. Außerdem bekommen die Betroffenen im BEM die Wertschätzung, die ab und zu auf der Strecke bleibt. Und sie können offen über ihre Belastungen sprechen.

Können Sie hier ein konkretes Beispiel nennen?
Ja, klar. Eine Mitarbeiterin mit chronischen Rückenschmerzen äußerte im BEM-Gespräch: „Hier zieht’s dauernd. Können wir mal den Arbeitsplatz anschauen?“ Haben wir gemacht und ein undichtes Fenster entdeckt, das in der Folge repariert wurde. Erst im geschützten Rahmen des BEM hat sich die Mitarbeiterin getraut, etwas zu sagen.

So gesehen, ist das BEM letztlich nichts anderes als Hilfe zur Selbsthilfe. Ein Prozess, in dem Unternehmen und Mitarbeiter an einem Strang ziehen und die Fragen klären: Was kann das Unternehmen für den Mitarbeiter tun und was der Mitarbeiter für das Unternehmen?

BEM und Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) – wie gehört das Ihrer Meinung nach zusammen?
Unmittelbar. Nur als Teil des BGM hat das BGM die Bedeutung, die ihm zusteht, und kann seine Wirkung voll entfalten – für alle Beteiligten. Die Mitarbeiter erleben, dass sich ihr Arbeitgeber um ihre Gesundheit kümmert und sie auch im Krankheitsfall nicht allein lässt. Statt durchaus gut gemeinter, aber oft einseitiger Maßnahmen nach dem Gießkannen-Prinzip sind sie aktiv in ihr Wiedereingliederung eingebunden. Für das Unternehmen ist das BEM insgesamt ein sehr gutes Frühwarnsystem. So lassen sich Indizien aus dem BEM sehr gut mit anderen Elementen des BGM verknüpfen und nachhaltig nutzen.

Wie sieht das konkret aus?
Wenn ich in einer 15-köpfigen Abteilung fünf Burnout-Fälle habe, ist es ein Indiz dafür, dass ich in dieser Abteilung etwas machen muss. Das kann eine psychische Gefährdungsbeurteilung oder Führungskräfte-Schulung sein, eine Mediation oder Teamentwicklung, damit die restlichen zehn Mitarbeiter nicht auch noch ausfallen. Überwiegen Muskel-Skelett-Erkrankungen, brauche ich keine Burnout-Prophylaxe, sondern einen Physiotherapeuten für die Mitarbeiter. Ich kann die Maschinen untersuchen oder – besser noch – die betroffenen Mitarbeiter in den Anschaffungsprozess einbinden.

Inwiefern entlastet BEM die Führungskräfte im Unternehmen?
Gar nicht, was ihre Fürsorgepflicht für den Arbeitnehmer angeht. Diese gilt unabhängig vom BEM ab Unterzeichnung des Arbeitsvertrags. Daneben bietet das BEM einen klar strukturierten Prozess mit festen Schritten und Verantwortlichkeiten. Das gibt Sicherheit. Und wenn ich es gut mache, ist das BEM kurz, knapp und maßnahmenorientiert. Außerdem stehen der Führungskraft verschiedene Experten wie Betriebsärzte, Integrationsämter oder Reha-Träger zur Seite.

Eine zusammenfassende Frage zum Schluss: Was macht für Sie ein erfolgreiches BEM aus?
Für ein erfolgreiches BEM sind folgende fünf Prinzipien strikt einzuhalten: Freiwilligkeit (als Voraussetzung der Kooperationsbereitschaft), Datenschutz (persönliche Daten des Mitarbeiters dürfen nicht weitergebeben werden), Vertraulichkeit (alles, was im BEM besprochen wird, bleibt bei den Beteiligten – es sei denn, der Mitarbeiter erteilt die Freigabe), Offenheit (dem Mitarbeiter deutlich zu sagen, was geht und was nicht machbar ist) sowie Transparenz (damit der Mitarbeiter zu jedem Zeitpunkt im Prozess weiß, was mit ihm seinen Daten geschieht). Ergänzen möchte ich eine weitere Notwendigkeit, nämlich die beschlossenen Maßnahmen gezielt und schnell umzusetzen. So bleiben alle Beteiligten motiviert und das BEM dynamisch.

 

Angela Huber, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Sozialrecht, Mediatorin BM® und zertifizierte Disability Managerin CDMP®/DGUV ist selbstständige Rechtsanwältin in München und Kooperationspartnerin von stg – Die MitarbeiterBerater. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Arbeits- und Sozialrecht und insbesondere im Betrieblichen Eingliederungsmanagement. Sie unterstützt mit langjährigem Praxiswissen zahlreiche Unternehmen bei der Einführung, Durchführung und Optimierung des BEM in Form von Vorträgen und rechtlicher sowie fachlicher Beratung. Darüber hinaus führt sie in zahlreichen Fällen das Einzelfallmanagement als externe Fallmanagerin durch.

 

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